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Variationstechniken – Meisterwerke der Themenverarbeitung

Verfasst von Ben Müller

Das Musiklexikon von A-Z ist ein Nachschlagewerk, in dem die wichtigsten Begriffe und Konzepte der Musiktheorie erklärt werden. Mehr dazu findest du im Beitrag.
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Definition: Variationstechniken – Was ist das?

In der Musikgeschichte gibt es viele Komposititionsprinzipien und -techniken. Komponist*innen mussten sich immer wieder spannende Ideen einfallen lassen, um ihre Themen weiter zu verarbeiten und Stücke spannend zu gestalten. Eines davon sind die Variationstechniken. Mit verschiedenen Arten der Abwandlung eines Themas werden hier Variationen geschaffen, die am Ende ein komplettes Stück ergeben. So komponiert man unter anderem für Solowerke. Aber auch in der Kammermusik oder in Sinfonien haben diese Prinzipien als Methode der Themenverarbeitung verwendet. Ingesamt lässt sich in vier unterschiedliche Kategorien unterteilen, die wir im Folgenden beschreiben werden: Cantus-Firmus-Variation, Ostinatovariation, Charaktervariation und Figuralvariation.

Wie funktioniert das Prinzip der Variationstechniken

Die verschiedenen Variationen verändern das Thema oder die Begleitung auf eine gewisse Weise, sodass man stets durch Harmonik, Rhythmus oder die Melodieführung einen Bezug zum Ursprung des Themas herstellen kann. Zum Verständnis: Variationen über ein Thema werden über viele Abschnitte verteilt, sodass man pro Variation einen Abschnitt setzt, in dem jeweils eine der vier Techniken angewendet wird. Oft entstehen so in einem Variationsstück 12, 16 oder auch 24 Abschnitte, die alle thematisch miteinander verbunden sind, aber trotzdem alle etwas neues und besonderes enthalten.

In der Musiktheorie beschäftigt man sich dann mit dem Analysieren der Stücke. Manchmal ist es trotz guter Argumentationen unter Historiker*innen umstritten, um welches Prinzip der Variation es sich handelt. Es gibt somit nicht immer die eine Lösung und Festlegung, sodass man selbst anhand gut begründeter Punkte eine Entscheidung treffen kann.

Die vier Variationstechniken im Überblick

Diese vier im Folgenden benannten Techniken vertreten die meisten Variationen und sind die am häufigsten verwendeten ihrer Art. Es gibt daher auch noch andere, spezifischere Unterteilungen. Dies sind aber für einen Überblick die wichtigsten Techniken.

Cantus-Firmus-Variation

Die Bezeichnung “Cantus-Firmus” steht für nichts anderes als die Melodiestimme – der sogenannte “feststehende Gesang”. Dieser ist bei dieser Technik auch das Wiedererkennungsmerkmal. Die Melodie verändert sich nicht. Dafür sind alle anderen Parameter variabel und es können Tonart, Dynamik, Harmonik oder auch Rhythmus der Begleitung ganz unterschiedlich und frei gestaltet werden. Das Prinzip der Umkehrung ist einzige Möglichkeit den Cantus-Firmus zu verändern, wodurch alle Intervalle in die entgegengesetzte Richtung gespielt werden.

Figuralvariation

Wie der Name schon sagt, werden bei der Figuralvarition Figuren und Verzierungen der Melodiestimme hinzugefügt. Die Kerntöne in der Melodie bleiben somit erhalten, aber Umspielungen – zum Beispiel gebrochene Akkorde um die Melodie herum oder schnelle Tonleiterläufe – gestalten diese neue Variation. Somit ist diese Technik meist sehr nah an dem Originalthema, da die Form und meist auch die Harmonik nicht verändert werden und die Figuration im Vordergrund stehen soll.

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Charaktervariation

Bei dieser Variationstechnik kann am meisten von der Urgestalt des Themas abgewichen werden. Somit ist sie auch am schwierigsten bei einer Analyse zu erkennen. Alle Parameter können verändert und variiert werden: Tonart, Tempo, Rhythmus, Harmonik, Dynamik und auch das Thema, denn hier sind die entscheidenden Merkmale charakteristische Motive und grundlegende Bausteine, die mit dem Thema zu verbinden sind. Der Name sagt auch schon, dass der Charakter dieser Variation sich stark verändert – bei Max Regers Mozart-Variationen entfaltet sich zum Beispiel in Variation 4 aus dem leichten, fließenden Thema ein majestätischer Galopp, der zugleich in einem Vivace ertönt.

Ostinatovariation

Die Ostiantovariation ist im Vergleich zu den anderen eine sehr besondere Variation. Sie tritt in der Regel alleine auf, da ihre Konstruktion durch eine stets gleichbleibende Basslinie (Ostinato) ausgezeichnet ist, die sich durch das ganze Stück zieht. Zudem bleiben neben dem Bass auch die Harmonien und Akkorde gleich – lediglich das Tongeschlecht kann sich ändern und statt F-Dur erklingt nun die Varianttonart f-moll. Alle anderen Stimmen – außer der Bassstimme – sind hier jedoch sehr variabel und können sich ganz von ihrem Ursprung entfernen, da das Ostinato den Wiedererkennungswert bei dieser Variationstechnik herbeiführt.

Berühmte Stücke der Variationstechniken

In der Wiener Klassik schrieb man einige Stücke dieser Art. Max Reger war mit seinen Variation einer der bekanntesten und komponierte so zum Beispiel die Variationen über ein Thema von Mozart, welche wir gleich noch genauer betrachten werden.

Auch der weltberühmte klassische Komponist Ludwig van Beethoven selbst hat in seiner heroischen dritten Sinfonie den vierten Satz als einen Variationssatz komponiert. Hier sind die Variationen vor allen Dingen am Ende nicht so streng unterteilt wie bei denen von Reger. Jedoch lässt sich sowohl im Notenbild durch klare Wiederholungen, als auch beim Zuhören durch den Wechsel von Charakter, Harmonie und Instrumentation eine erkennbare Trennung der Variationen beobachten.

Beispiele für Variationstechniken aus Max Regers Mozart-Variationen

Im folgenden zeigen wir dir einmal für die ersten drei genannten Variationstechniken Hörbeispiele mit dem Vergleich zum Thema. Hier kannst du mal versuchen, die entscheidenden Merkmale und Veränderungen rauszuhören und einen Eindruck zu bekommen, wie diese Arten klingen können. Kleiner Tipp: Hör dir die Ausschnitte am besten direkt bei Spotify an, da der Beginn einer Variation am entschiedensten ist. Hier werden meist Mittelteile abgespielt, die nicht so erkennbar sind.

Thema

Hier ist nun das sanfte, vor sich hinfließende Thema zu hören:

Variation 1

Die erste Variation ist eine Cantus-Firmus Variation. Man hört klar die Melodie heraus, die zu Beginn von der Klarinette gespielt wird und anschließend von weiteren Instrumenten übernommen wird. Taktart und Tonart bleiben unverändert, aber eine auf- und absteigende akkordische Begleitung wurde dem Thema beigefügt:

Variation 3

Die dritte Variation ist nun eine Figuralvariation. Das Prinzip der Variantik wurde nun hier angewendet: Statt A-Dur klingt nun alles in der Varianttonart a-moll. Außerdem ist die Taktart nun ein 2/4-Takt – also keine Art Walzer mehr. Zudem wurde der Rhythmus abgewandelt, da nun durchlaufende Achtel und keine punktierten Noten mehr erklingen. Die Melodie beziehungsweise das Thema sind ist trotz der schon markanten Abwandlung noch leicht rauszuhören:

Variation 4

Die vierte Variation ist die schon erwähnte Charaktervariation, die nun in die Tonart C-Dur wechselt. Darüberhinaus hat sich ein Marsch-Charakter entwickelt, bei dem man den Galopp der Pferde in einem deutlich schnelleren Tempo (Vivace) wahrnehmen kann. Viel von dem Ausgangsthema bleibt hier daher nicht übrig. Es klingt alles sehr wild und frei:

Jetzt haben wir uns diese Art von Variationen einmal genauer angeschaut. Die Ostinatovariation erkennst du beim Hören nun an der gleichbleibenden Bassstimme. Falls du dich selbst testen möchtest sind hier noch zu weiteren Variationen von Reger die “Lösungen”. Die Audios findest du bei Spotify oder auch auf YouTube:

  • Variation 2: Cantus-Firmus Variation mit Umkehrung des Themas
  • Variation 5: Charaktervariation
  • Variation 6: Figuralvariation
  • Variation 7: Cantus-Firmus Variation
  • Variation 8 :Charaktervariation

Weitere Hinweise bei Variationstechniken

Wichtig ist noch zu wissen, dass eine Variationstechnik immer auf eine ganze Variation – zum Beispiel Variation 7 – angewendet wird und nicht mehrere Techniken in einer Variation vermischt werden. Trotzdem kann es in moderneren Kompositionen der Fall sein, dass sich verschiedene Techniken miteinander vermischen.

Zudem sind diese vier Arten der Variation nicht in der Musiktheorie festgelegt. Es gibt noch viele weitere Arten und auch andere Bezeichnungen für die gleiche Technik. Die vorgestellten Variationstechniken sind daher nur als bekannteste Varianten zur Verdeutlichung und Modellierung der Ideen der Komponist*innen.

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